Schlafen Rollstuhlfahrer eigentlich im Sitzen?

Die Abteilung Rollstuhlsport und das Programm „Die Schule rollt!“ des TV Laubenheim 1883 e.V. beantworten wirklich alle Fragen.

Das, was bei den Initiatoren des TV Laubenheim in Rheinland-Pfalz gerade passiert, ist wohl für alle Beteiligten eine neue Situation. Seit dem Gewinn des „Großen Stern des Sports“ in Silber erlebt der Verein eine wahre Woge der Aufmerksamkeit. Auch intern. „Den Rollstuhlsport bei uns gibt es ja schon seit fast 25 Jahren“, erklärt Trainerin Nora Sties. „Damals war das Thema Behindertensport allerdings noch am Rande angesiedelt. Es war ein langer Prozess des Umdenkens und ich glaube, wir haben jetzt die Akzeptanz, die wir immer wollten. Auch unser eigener Vereinsvorstand sieht uns seit dem Erfolg bei den ‚Sternen des Sports’ mit anderen Augen“, freut sich Nora Sties.

Die 27-Jährige, die selbst im Rollstuhl sitzt, erklärt, wie es zu dieser Veränderung kam. „2004 gab es in der Abteilung Rollstuhlsport einen generations- und altersbedingten Wechsel der Übungsleiter. Damit gab es erstmals Trainer, die selbst im Rollstuhl saßen. Schnell war klar, dass mit diesem Wechsel ein wichtiger Schritt getan war. Wir wollten einfach keine Ausgrenzung mehr und nur Rollifahrer als Teilnehmer unserer Kurse“, erzählt sie.

Der Rollstuhl ist viel mehr als ein Hilfsmittel


Zuerst wurden Geschwister und Freunde der Sportler eingeladen, bei den Programmen dabei zu sein. „Viele unserer Teilnehmer haben von zu Hause einen zweiten Rollstuhl mitgebracht und so hatten wir ganz schnell die Situation, dass wir alle in der gleichen Position waren – sozusagen auf Augehöhe“, so Nora Sties. Dabei geht es den Übungsleitern nicht darum, dass nicht behinderte Kinder und Erwachsene einfach mal fühlen, wie es in einem Rollstuhl ist. „Bei uns steht im Vordergrund, gemeinsam Sport zu machen und dabei Spaß zu haben“, betont die engagierte Trainerin.

„Wenn man gemeinsam Sport im Rollstuhl macht, vergisst man schnell, dass es eigentlich ein medizinisches Hilfsmittel ist“, sagt sie. Die Kinder werden dabei spielerisch an die Sache heran geführt. Mit Spielen wie Ochs am Berg oder Katz und Maus werden Bewegungsfreude und Mobilität der Rollikids gefördert. „Dadurch, dass bei uns alle im Rollstuhl sitzen, egal ob behindert oder nicht, entsteht ein ganz anderes Zusammengehörigkeitsgefühl“, erklärt Nora Sties. „Und bei uns haben auch alle die Chance auf Erfolgserlebnisse“, sagt die 27-Jährige.

Die Schule rollt!

Um die Sozialkompetenz zu erhöhen, ist die Abteilung Rollstuhlsport des TV Laubenheim 1883 e.V. mit seinem Programm „Die Schule rollt“ unterwegs. Dabei geht es vor allem darum, dass Kinder mit Beeinträchtigungen nicht beim Schulsport ausgeschlossen werden. Genauso wie im Verein wird vielmehr gezeigt, dass es allen Beteiligten viel mehr Spaß und Erfolge bringt, wenn man Angebote schafft, die alle nutzen können. Dafür wird an den Schulen ein Rolli-Parcours aufgebaut, auf dem alle ausprobieren können, wie es sich anfühlt, mit einem Rollstuhl zum Beispiel über Kopfsteinpflaster zu fahren. Nora Sties weiß, dass vor allem Kinder die wenigsten Berührungsängste haben und offen mit dem Thema umgehen. „Oft kommen Fragen wie: Schlafen Rollstuhlfahrer eigentlich im Sitzen? Oder: Wie kommt ihr in ein Flugzeug, wenn ihr in den Urlaub fliegen wollt?“ Die Übungsleiter, die zum Teil seit ihrer Kindheit selbst im Rollstuhl leben, beantworten die neugierigen Fragen der Kinder gern und ehrlich. „Viele denken, das Leben in einem Rolli zu verbringen, ist das Schlimmste überhaupt. Für mich ist Rollstuhl fahren wie Laufen. Und ich denke, mit unseren Angeboten und der Öffnung des Vereins verstehen uns viele besser und begreifen auch, wie wichtig beispielsweise Barrierefreiheit ist“, sagt die Übungsleiterin.

Es kribbelt überall

Am 29. Januar 2013 vertritt Nora Sties gemeinsam mit ihren Vereinskollegen aus Laubenheim das Land Rheinland-Pfalz beim Bundesfinale der „Sterne des Sports“. Für alle ein riesiges Abenteuer: „Die Vorfreude auf die Preisverleihung ist so groß, dass wir am liebsten einen ganzen Bus füllen würden und alle nach Berlin fahren wollen“, lacht die Übungsleiterin, die weiß, dass sie diese Ehre stellvertretend für ganz viele Aktive und Unterstützer geniessen kann. „Einer unserer wichtigsten Partner ist der Behindertensportverband Rheinland-Pfalz, der eine zuverlässige Stütze für uns ist, vor allem in finanzieller Hinsicht“, erklärt Nora Sties. „Mit dieser Unterstützung kann unser Programm langfristig und nachhaltig angelegt werden, egal ob beim Finale in Berlin noch ein Stern dazu kommt oder nicht.“

(Quelle: wirkhaus)