Sport gegen Depression

Mit „Aktiv aus dem Stimmungstief“ hat der SV Eintracht Hannover ein Kursprogramm für Betroffene entwickelt.

Die Partner von "Aktiv aus dem Stimmungstief": Professorin Petra Garlipp, Dr. Olaf Hoos, Teresa Enke, Professor Marc Ziegenbein, Rolf Jägersberg und Rita Girschikofsky (Foto: Karin Kaiser/MHH)
Die Partner von "Aktiv aus dem Stimmungstief": Professorin Petra Garlipp, Dr. Olaf Hoos, Teresa Enke, Professor Marc Ziegenbein, Rolf Jägersberg und Rita Girschikofsky (Foto: Karin Kaiser/MHH)

Rund vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Depression, die behandelt werden muss. Dass Bewegung ihnen helfen kann, ist zwar allgemeiner Konsens, aber wissenschaftliche Beweise dafür gibt es bisher kaum. Das soll sich durch die Ergebnisse des Programms „Aktiv aus dem Stimmungstief“ ändern.

Mens sana in corpore sano

„Die Idee hat Professor Marc Ziegenbein von der Medizinischen Hochschule Hannover angestoßen. Er war auf der Suche nach einem zukunftsgerichteten Angebot mit positivem Effekt für seine Patientinnen und Patienten, weil er mehr für sie tun wollte, als sie nur für die Dauer ihres Klinikaufenthalts zu behandeln. Deshalb hat er beim Leichtathletikverband in Niedersachsen angerufen. Die Präsidentin Rita Girschikofsky ist auch Präsidentin des Stadtsportbundes Hannover und sitzt bei uns im Leichtathletikvorstand“, erzählt Rolf Jägersberg, der Vereinsvorsitzende von Eintracht Hannover. „Sie hat ihn dann mit unserem Verein in Kontakt gebracht.“

Nach dem ersten Kennenlernen folgten mehrere Treffen, bei denen auch die Sportwissenschaftler von den Unis in Würzburg und Marburg dabei waren. Im Juni 2011 hat dann die konkrete Planung angefangen, etwa ein Jahr später ging der erste Kurs mit 50 Teilnehmern bei Eintracht Hannover an den Start. „Bei uns gab es von Anfang an keine Berührungsängste mit den Depressionspatientinnen und -patienten, weder bei den Mitgliedern noch beim Trainerstab. Wir wollten einen ganz natürlichen Umgang miteinander, so dass sich die Betroffenen nicht fühlen wie Affen im Käfig – und das ist uns auch gelungen“, beschreibt Rolf Jägersberg die Zielsetzung.

Raus aus der Isolation


Denn neben der aktiven Bewegung sollte der Kurs auch die positiven Effekte des Vereinslebens vermitteln – das Gemeinschaftsgefühl und den Zusammenhalt. „Viele, die unter Depressionen leiden, kapseln sich ab, ziehen sich zurück und verhalten sich passiv – so hat es uns Professor Ziegenbein erklärt“, sagt Rolf Jägersberg.
Durch das gemeinsam entwickelte Angebot „Aktiv aus dem Stimmungstief“ wollte man den Betroffenen helfen, dieses Verhaltensmuster zu durchbrechen.

Über den Kurs bei Eintracht Hannover hat das Organisationsteam versucht, sie für den Sportverein zu begeistern und ihre sozialen Kontakte zu fördern, ohne sie zu einer Mitgliedschaft zu zwingen und dadurch abzuschrecken. „Wir haben im Verein eine große Gaststätte mit einem sehr schönen Biergarten“, betont Jägersberg. „Das lädt förmlich dazu ein, sich nach dem Sport zusammenzusetzen und miteinander zu klönen. Genau das haben wir immer wieder gemacht.“

Voraussetzung für die Teilnahme am Lauftraining war ein medizinischer Eignungstest, den Verein und Hochschulen vor allem deshalb verlangten, um sich abzusichern. Die 50 Patientinnen und Patienten wurden in drei Gruppen aufgeteilt, die unter der Regie von Abteilungsleiter Thomas Behling je ein Trainer und ein Assistenzarzt der MHH gemeinsam betreuten. Das Pensum passte das Team dabei flexibel  an die Leistungsfähigkeit des Kurses an. Es reichte von Lauf- bzw. Walking-Einheiten von 15 bis 30 Minuten, die dann auf eine Stunde und länger gesteigert wurden. Im ständigen Dialog kam man schnell zu dem Schluss, dass die meisten sich eher unter- als überfordert fühlten.

Schon bald stellte sich außerdem die von den Initiatoren erwartete befreiende Wirkung des regelmäßigen gemeinsamen Sports ein. „Natürlich hatten wir mehr Interessenten als Plätze. Wir wollten auch niemanden aufs Abstellgleis schieben, deshalb haben wir zwei Kurse angeboten. Bei dem zweiten konnten dann auch die Patienten noch mal mitmachen, die sich bei uns gemeldet haben und das Programm gerne wiederholen wollten. Außerdem haben einige von ihnen sich selbständig zum Walken oder Laufen verabredet und treffen sich inzwischen privat oder sie sind Mitglied bei uns im Verein geworden und kommen zu den ganz normalen Kursen“, fasst der Vereinsvorsitzende zusammen.

Sport auf Rezept

Ende Oktober ist auch der zweite Kurs zu Ende gegangen, jetzt läuft die Auswertung. Rolf Jägersberg ist überzeugt, dass bis zum Frühjahr Evaluationsergebnisse und Trainingsprogramme vorliegen,  von denen auch andere Sportvereine profitieren können. Er selbst und Professor Ziegenbein bieten an, in Vorträgen über die bisherigen Erfahrungen zu referieren. Ziel ist es, dass die Krankenkassen langfristig die Kosten für solche Sportangebote übernehmen.

Das Pilotprogramm in Hannover wurde von der Robert-Enke-Stiftung mit rund 12.000 Euro gefördert. Der Selbstmord von Nationaltorwart und Hannover-96-Keeper Robert Enke im November 2009 hatte Sportfans in ganz Deutschland aufgerüttelt und für das Thema Depression sensibilisiert. „Natürlich hat die Unterstützung durch Teresa Enke uns geholfen, in der Öffentlichkeit breites Interesse für unser Angebot zu wecken“, räumt Jägersberg ein. Sogar zwei Zeitungen in Spanien haben über „Aktiv aus dem Stimmungstief“ berichtet. Für die „Sterne des Sports“ hat sich der Verein bei der Hannoverschen Volksbank eG beworben.

Pures Glücksgefühl

Der Landessieg bei den „Sternen des Sports“ 2012 in Niedersachsen macht Rolf Jägersberg aus mehreren Gründen stolz. Zum einen hat sich der ganze Verein über den Erfolg gefreut, zum anderen ist es die Anerkennung für das persönliche Engagement des gesamten Teams, das bei der Initiative „Aktiv aus dem Stimmungstief“ beteiligt war. Und natürlich gibt es auch einen wirtschaftlichen Effekt, räumt Jägersberg ein: „Gerade was die PR für den eigenen Verein angeht, gibt es keine bessere Werbung als die Auszeichnung bei den ‚Sternen des Sports’.“

Selbstbewusst freut sich der Vereinsvorsitzende von Eintracht Hannover jetzt auf das Bundesfinale am 29. Januar in Berlin. Er ist von der Qualität seiner Maßnahme überzeugt und liebt den Nervenkitzel. Das Gefühl beim Landessieg der „Sterne des Sports“ in Silber beschreibt Rolf Jägersberg so: „Das ist so, wie wenn Sie nach einem langen Lauf über 10 Kilometer und mehr mit Bestzeit ins Ziel kommen. Alles, was jetzt beim Bundesfinale noch passieren kann, ist toll. Ich lass’ mich gerne überraschen.“

Eine ausführliche Beschreibung des Angebotes können Sie Opens external link in new windowhier lesen.

(Quelle: wirkhaus)



  • Die Partner von "Aktiv aus dem Stimmungstief": Professorin Petra Garlipp, Dr. Olaf Hoos, Teresa Enke, Professor Marc Ziegenbein, Rolf Jägersberg und Rita Girschikofsky (Foto: Karin Kaiser/MHH)
    Die Partner von "Aktiv aus dem Stimmungstief": Professorin Petra Garlipp, Dr. Olaf Hoos, Teresa Enke, Professor Marc Ziegenbein, Rolf Jägersberg und Rita Girschikofsky (Foto: Karin Kaiser/MHH)