„Ohne Ehrenamt kein sportlicher Erfolg“
Im Kurort Bad Freienwalde steht die nördlichste Skisprungschanze Deutschlands. Seit 2001 ist hier die Wintersportkultur wieder belebt und dank großem ehrenamtlichen Engagement Teil der leistungssportlichen Perspektive im deutschen Wintersport.

09.12.2025

Das ehrenamtliche und freiwillige Engagement bildet das Fundament des Vereinssports in Deutschland. Ohne die Millionen Engagierten wären die vielfältigen Angebote im Freizeit-, Gesundheits- und Wettkampfsport nicht denkbar. Mit unserem Format „Engagement der Woche“ stellen wir regelmäßig Menschen und Vereine vor, die diese tragende Säule des Sports sichtbar machen und dafür von den Sternen des Sports ausgezeichnet wurden. In dieser Woche führen wir ein Gespräch mit Günter Grützner, dem Pressesprecher des Wintersportvereins 1923 Bad Freienwalde und des Landesskiverbandes Brandenburg. Mit ihm sprechen wir über das vielfältige Engagement des Vereins und über das Projekt „Wintersport im Norden“.
DOSB: Herr Grützner, Sie sind der Pressesprecher des Wintersportvereins 1923 Bad Freienwalde (WSV 1923) und des Landesskiverbandes Brandenburg (LSVBrd). Wie kam es zu dieser Doppelfunktion?
Günter Grützner: Der LSVBrd ist ein kleiner Wintersportverband, wie man sich denken kann, denn Brandenburg ist nun wirklich kein Wintersportland. Trotzdem gibt es auch in Brandenburg Wintersportbegeisterte. Einige davon leben in der Kurstadt Bad Freienwalde und die meisten wintersportlichen Aktivitäten in Brandenburg finden dort in der Sparkassen-Ski-Arena statt. Deshalb ist es kein Wunder, wenn der Pressesprecher des WSV 1923 Bad Freienwalde e.V. auch Pressesprecher des Landesskiverbandes ist.
Die Wintersportkultur in Bad Freienwalde findet ihre Anfänge in den 1920er Jahren. Damals, im Jahr 1923, empfing der erste „Märkische Wintersporttag“ tausende Gäste. In den 70ern, nach einem halben Jahrhundert Wintersport, dann das vorläufige Ende des Vereinslebens bis zur Neubelebung 2001. Wie prägt diese Geschichte die heutige Vereinsarbeit und Motivation der Mitglieder?
Die Geschichte des WSV ist, wie Sie sagten, über hundert Jahre alt. Und Brandenburger sind geschichtsbewusste Leute. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass nach der Wende eine Tradition wiederbelebt wurde, die erst in den 1970er Jahren eingeschlafen ist. Bis dahin gab es in Bad Freienwalde Wintersport und Skispringen, wenn auch auf einer immer mehr verfallenen Schanze und immer seltener wegen immer weniger Schnee. Es gehörte schon eine Menge Idealismus dazu, 2001 mit dem Bau der neuen Schanzen die alte Tradition wieder zu beleben. Der Gegenwind in der Region war auch nicht gerade klein, aber vielleicht hat gerade das die Idealisten angefeuert. Heute verfügt die Kurstadt über eine moderne Nachwuchs-Schanzenanlage mit vier Schanzen. Es sind Mattenschanzen, welche Skispringen auch ohne Schnee ermöglichen. An der K60, der größten Schanze, ist ein Personenaufzug installiert. Solch eine Anlage ist Motivation, aber wichtiger ist das Gemeinschaftsgefühl der Mitglieder. Außerdem können so Projekte verwirklicht werden, die nach außen hin ausstrahlen und inzwischen europaweit anerkannt sind. Und das wiederum bringt Stolz auf das Erreichte hervor und motiviert für Neues.
Wie beispielsweise als Landesstützpunkt aktiv zu werden?
Landesstützpunkt wird man durch sportliche Erfolge und durch den gemeinschaftlichen Willen, sportliche Erfolge gemeinsam zu erreichen. Und dadurch wiederum schafft man die mentalen Voraussetzungen für die technische und sportliche Entwicklung. Das trägt außerdem dazu bei, dass sich die Region entwickelt und in der Region der Stolz auf das Erreichte wächst. Das bringt auch neue Unterstützer und Sponsoren hervor, ohne die eine Entwicklung nicht möglich ist. Die politische Anerkennung eines Landesstützpunktes ist dabei ein wichtiger Faktor. Gleichzeitig ist es aber auch Anerkennung für die geleistete Arbeit.
Welche Effekte beobachten Sie bei den Jugendlichen, und gibt es eine Erfolgsgeschichte, die den Einfluss Ihres Engagements besonders zeigt, wie etwa die von Alvine Holz?
Zurzeit trainieren vom WSV 1923 sechs Sportlerinnen und Sportler an Eliteschulen bzw. Bundesstützpunkten. Als Max Unglaube vor Jahren im rbb sagte, er wolle einmal Olympiasieger werden, lächelte so mancher in Bad Freienwalde. Heute lächelt niemand mehr. Alvine Holz und Max Unglaube springen im Weltcup, Florian Fechner, Mila Twarok und Moritz Terei gehören in ihrer Altersklasse den deutschen Nationalmannschaften an. In nächster Zeit werden drei weitere Bad Freienwalder Nachwuchssportlerinnen und -sportler ihren Weg in Eliteschulen und Bundesleistungszentren gehen. Das alles hat erheblichen Einfluss auf den Leistungswillen unserer Nachwuchssportlerinnen und -sportler, die sehen, was man mit Talent, Beharrlichkeit und Leistungswillen erreichen kann.
Solche Erfolge haben darüber hinaus auch eine Bedeutung für die Entwicklung eines Vereins.
Richtig, sie zeigen, dass in Bad Freienwalde ordentliche Nachwuchsarbeit geleistet wird und die technischen Voraussetzungen vorhanden sind. Internationale Trainingslager sowie internationale Wettkämpfe mit Sportlern aus vielen europäischen Ländern bestätigen dies regelmäßig. Das ist zugleich ein positives Aushängeschild für die Region, wofür die Wintersportbegeisterten weit über Bad Freienwalde hinaus dankbar sind. Über 1.000 Besucher bei Nachwuchswettkämpfen sind keine Seltenheit, ein Zulauf, über den man sich in Norwegen selbst beim Weltcup freuen würde. Und nicht zu vergessen: Wintersport ist keine Massensportart. Unsere Kinder und Jugendlichen kommen nicht nur aus Bad Freienwalde, sondern auch aus Eberswalde, Strausberg, Berlin und sogar Szczecin an der polnisch-deutschen Grenze. Wenn man dreimal die Woche 100 km Anfahrtsweg auf sich nimmt, dann muss die Arbeit in Bad Freienwalde nicht nur erfolgreich sein, sondern der Sport hier auch Spaß machen. Unser Nachwuchs hat dafür die Vorbilder im eigenen Verein!
Zum Ende des letzten Jahres gewann der WSV 1923 Bad Freienwalde für das Projekt „Wintersport im Norden“ einen silbernen „Stern des Sports“. Worum ging es in diesem Projekt und was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?
Das Projekt „Wintersport im Norden“ diente vor allem der Nachwuchsgewinnung. Mit vielfältigen Initiativen versuchen wir regelmäßig, talentierte Kinder zu finden und für den Wintersport, besonders für die Disziplinen Spezialsprunglauf und Nordische Kombination, zu begeistern. Kinder bereits im Kindergarten- oder Grundschulalter zu begeistern ist wichtig, denn durch aktiven Sport entwickeln sich wichtige Kompetenzen wie Zuverlässigkeit, Zielstrebigkeit, Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit und Ausdauer. Deshalb bieten wir neben dem leistungssportorientierten Training auch Sport für alle an, die einfach Spaß daran haben. Wir leiten zwei Arbeitsgemeinschaften Wintersport an den Bad Freienwalder Grundschulen und unterstützen mehrere Schulprojekttage sowie die KITA-Olympiade, die jedes Jahr im Frühjahr in der Sparkassen-Ski-Arena gemeinsam mit regionalen Schulen, KITAs und unseren polnischen Partnern stattfindet.
Sie gehen also nicht nur auf Talentsuche, sondern möchten auch Hemmschwellen abbauen und Skispringen attraktiver machen?
Ja, bei wintersportorientierten Wettkämpfen entdecken wir immer wieder Talente, die später Teil unseres Nachwuchses werden. Beim abschließenden Deutsch-Polnischen Märkischen Wintersporttag für die ganze Familie zeigen die Kinder ihren Eltern und Großeltern, wie viel Freude Wintersport macht und dass Skispringen weniger gefährlich ist, als es aussieht. Unser Nachwuchsprogramm wird durch zwei bis drei jährliche Wettkampfwochenenden ergänzt: den Nordcup, die Internationalen Offenen Landesmeisterschaften und das Mixedspringen um den Pokal der Kurstadt Bad Freienwalde. In den Sommerferien bieten wir ein Camp für Grundschulkinder und Nachwuchssportler an. Zusätzlich organisieren wir Trainingslager an weiteren Standorten in Deutschland und Polen. Diese gemeinsamen Erlebnisse stärken den Zusammenhalt und fördern sowohl soziale Kompetenzen als auch sportliche Erfolge. Der Stern des Sports ist daher eine Bestätigung unserer Arbeit und eine Ehre für uns.
Das alles wäre ohne Ehrenamt nicht möglich. Welche Wirkung hat das ehrenamtliche Engagement auf die Nachwuchs- und Vereinsarbeit?
Ohne Ehrenamt kein Erfolg. So kurz lässt sich das zusammenfassen. Zwar haben wir das Glück, einen hauptamtlichen Trainer zu haben, der der Schlüssel zur leistungssportlichen Entwicklung ist, doch ohne das Ehrenamt würden ihm alle Voraussetzungen fehlen, die sportliche Erfolge erst möglich machen. Das beginnt bei den Eltern. Ohne ihre Unterstützung könnten viele Kinder überhaupt nicht nach Bad Freienwalde kommen. Unsere Sportlerinnen und Sportler aus Berlin pendeln drei- bis viermal pro Woche rund 50 Kilometer je Strecke. Der Athlet aus Szczecin wird von seinem Vater regelmäßig über 100 Kilometer hin und zurück gefahren.
Und bei Wettkämpfen?
Bei Wettkämpfen, dem Wintersporttag oder Veranstaltungen wie dem Landeserntefest oder Weihnachtsmarkt sind Eltern und Mitglieder nicht nur Kuchenbäcker oder Bratwurstverkäufer. Viele haben sich als Weitenrichter, Kampfrichter oder für das Rechenbüro qualifiziert. Sie stehen an der Strecke, kassieren den Eintritt und übernehmen zahlreiche weitere Aufgaben. Auch die komplette Nachwuchswerbung und Öffentlichkeitsarbeit erfolgen ehrenamtlich. Die Organisation unserer Veranstaltungen und Wettkämpfe liegt ebenso in ehrenamtlichen Händen, genauso wie die umfangreiche Buchführung. Für die Öffentlichkeitsarbeit werden jährlich mehrere tausend Kilometer zurückgelegt, um von Wettkämpfen in Deutschland und Europa berichten zu können. Hunderte Stunden fließen in die Abrechnung von Fördermitteln und in die unermüdliche Suche nach zusätzlichen finanziellen Mitteln. Der Erhalt der Anlagen, die Bereitstellung von Sportausrüstung und die Teilnahme an Wettkämpfen, möglichst ohne die Eltern finanziell zu belasten, erfordern jährlich rund 100.000 Euro, die erst einmal beschafft werden müssen. All diese Tätigkeiten werden vollständig ehrenamtlich geleistet. Also wie gesagt, ohne Ehrenamt kein sportlicher Erfolg!
Welche Rolle spielt der Schul-, Kinder- und Breitensport bei Ihnen?
Das Landesleistungszentrum ist auf den Kinder- und Jugendsport spezialisiert. Erwachsenensport findet nur im Breitensport statt, hauptsächlich beim Wintersporttag und bei internen Vereinswettkämpfen. Im Kinder- und Jugendbereich wirken wir an verschiedenen regionalen Wettkämpfen wie dem Flutlichtlauf oder dem Kurstadtlauf mit und unterstützen Veranstaltungen unter anderem mit unserem mobilen Lasergewehr-Schießstand. Ein Schwerpunkt ist die Zusammenarbeit mit den beiden Bad Freienwalder Grundschulen durch jeweils eine Wintersport-Arbeitsgemeinschaft sowie mit vier bis fünf weiteren regionalen und auch polnischen Grundschulen im Rahmen von Schulprojekttagen. Gleiches gilt für die KITAs in Bad Freienwalde und bei unseren polnischen Partnern.
Welche Vision haben Sie für die Zukunft des Vereins, und wie unterstützt die Zusammenarbeit mit dem Landesskiverband Brandenburg diese Ziele?
Unser Ziel ist es, weiterhin zu den besten deutschen Wintersportvereinen im Nachwuchsbereich Spezialsprunglauf und Nordische Kombination zu gehören. Dazu gehören neben der Sicherung der technischen Voraussetzungen und des Trainers vor allem die kontinuierliche Talentsichtung, die Einbindung der Eltern und die Integration von Talenten in die „Familie“ des WSV 1923 Bad Freienwalde. Neben etablierten Aktivitäten wie Wintersporttag, Schulprojekttagen, KITA-Olympiaden und Arbeitsgemeinschaften haben wir ein neues Projekt: Mit Unterstützung des Landessportbundes und des Brandenburger Ministeriums für Finanzen und Europa bauen wir eine mobile Schanze. Damit können wir direkt in Schulen gehen und bei Schulsportfesten, dem Brandenburgtag, Landeserntefesten oder ähnlichen Veranstaltungen aktiv Talente suchen. Die offizielle Einweihung der mobilen Schanze ist noch während der olympischen Spiele Mailand Cortina vor dem Brandenburger Tor in Berlin geplant. Der Landesskiverband unterstützt unsere Aktivitäten, vertritt unsere Interessen im Landessportbund, in Ministerien und beim Deutschen Skiverband. Dennoch gilt: Ohne unsere Ehrenamtler, Förderer, Unterstützer und Sponsoren aus Politik und Wirtschaft wäre unsere Arbeit undenkbar und unsere sportlichen Erfolge würden nicht existieren.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Grützner!

Bundesfinale 2025 Sterne des Sports
Am 26. Januar 2026 entscheidet sich in Berlin, welcher Verein mit dem „Großen Stern des Sports“ in Gold 2025 ausgezeichnet wird. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird die bedeutendste Auszeichnung für gesellschaftliches Engagement von Sportvereinen in Deutschland im Rahmen der feierlichen Preisverleihung überreichen.









