Jeder verdient eine zweite Chance

Der Todtglüsinger SV von 1930 e.V. kümmert sich um straffällig gewordene Jugendliche.

Der Todtglüsinger SV von 1930 e.V. übernimmt Verantwortung für straffällig gewordene Jugendliche im Freizeitarrest und bei der Ableistung von Sozialstunden. Eike Holtzhauer (dritter v.l.), der zweite Vorsitzende, kümmert sich persönlich um sie. (Foto: Todtglüsinger SV)
Der Todtglüsinger SV von 1930 e.V. übernimmt Verantwortung für straffällig gewordene Jugendliche im Freizeitarrest und bei der Ableistung von Sozialstunden. Eike Holtzhauer (dritter v.l.), der zweite Vorsitzende, kümmert sich persönlich um sie. (Foto: Todtglüsinger SV)

Sonnabends hat Eike Holtzhauer, der zweite Vorsitzende des Todtglüsinger SVs, einen festen Termin: Er fährt morgens los, um Jugendliche in Tostedt abzuholen, die ihr Wochenende im Freizeitarrest verbringen müssen. Es gibt insgesamt zwei Arrestzellen. Die Jugendlichen, die dort einsitzen, kommen aus dem Gebiet, für das das Landgericht Stade zuständig ist. Auf Wunsch können sie am Sonnabend einige Stunden beim Verein an der frischen Luft arbeiten. Gemeinsam mit Eike Holtzhauer reinigen sie dort zum Beispiel die Angelteiche, pflegen die Fußballplätze oder sammeln Müll. Im Gegenzug dürfen sie dann am Sonntagnachmittag zwischen 15 und 18 Uhr den Kraft- und Fitnessraum des Vereins nutzen.

Ein unglaubliches Spektrum

„Zuerst sind die Jungen sehr still und zurückhaltend, aber im Laufe des Tages tauen dann die meisten auf. Ich biete ihnen auch schon im Auto das Du an – weil wir uns auch im Sportverein alle duzen. Viele sagen dann trotzdem weiter Sie, ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste“, sagte Eike Holtzhauer und lacht. „Wenn wir dann zusammen arbeiten, öffnen sich aber viele und erzählen mir ihre Geschichte.“ Er selbst hat keine Berührungsängste und gibt den Jugendlichen gerne Tipps.

Die Idee, dass der Todtglüsinger SV sich um Jugendliche im Freizeitarrest kümmert, kam 2006 auf. Ein engagierter Jugendrichter hatte den Verein angesprochen, weil er den Erziehungswert des Freizeitarrests positiver gestalten wollte. Die Jugendlichen, die durch den Arrest einen Warnschuss erhalten, aber gleichzeitig unter der Woche die Schule, ihre Ausbildung oder ihr Studium fortsetzen können, sollten nicht nur in der Zelle sitzen, sondern neue Kontakte knüpfen. Sie lernen, dass man mit seiner Freizeit mehr anfangen kann als abzuhängen oder zu klauen. Von Anfang an gab es einen Rahmenvertrag, der die Kooperation zwischen dem Todtglüsinger SV und dem Amtsgericht Tostedt regelt.

„Das Spektrum der Typen, die man hier trifft, ist schon sehr breit“, erklärt Eike Holtzhauer. „Einige Jungs sind nur zu schnell mit dem Moped gefahren, andere haben Vorstrafen.“ Besonders eingeprägt hat sich die Begegnung mit einem Jungen aus Kasachstan, der sehr gut Deutsch sprach. Im Gespräch schüttete er sein Herz aus und erzählte seine Familiengeschichte. Seine Mutter hatte einen Russlanddeutschen geheiratet und war mit ihrem Sohn nach Deutschland gekommen. Hier lehnte sie aber jeden Kontakt zur deutschen Gesellschaft ab. Ihr Sohn durfte zuhause nur Russisch sprechen und russisches Fernsehen gucken. Diese Abgrenzung belastete ihn sehr.

Über Sozialstunden zum Sport

Während die Jugendlichen im Freizeitarrest in der Regel nur zweimal beim Todtglüsinger SV arbeiten, ist der Kontakt mit Jugendlichen, die hier Sozialstunden ableisten, deutlich intensiver. Die Jugendgerichtshilfe spricht den Verein regelmäßig an, ob er straffällig gewordene Jugendliche beschäftigen kann. Je nach Delikt liegt die Zahl der Stunden zwischen 10 und über 60  Arbeitsstunden. Viele Betriebe lehnen die Beschäftigung ab, weil ihnen der Betreuungsaufwand zu hoch ist. Der Todtglüsinger SV ist deshalb ein wichtiger Partner für die Justizbehörden.

„Von den Jugendlichen, die bei uns Sozialstunden ableisten, besorge ich mir schnell die Handynummern. Dann verabreden wir uns. Wir binden sie in unsere ganz normalen Arbeitseinsätze beim Verein ein. Wir treffen uns regelmäßig, um das Vereinsgelände und unsere Sportanlagen zu pflegen. Bei uns werden sie dann ganz normal wie Kollegen behandelt“, beschreibt Eike Holtzhauer das Vorgehen. „Im Gespräch frage ich sie dann möglichst früh, ob sie Sport treiben und wenn ja, was sie machen oder wofür sie sich interessieren. Dann zeige ich ihnen auch schon mal die Fitnesshalle oder die Kampfsporthalle und versuche, sie für den Verein zu begeistern.“ Nicht wenige von ihnen sind dem Verein auch nach den Sozialstunden treu geblieben und in den Todtglüsinger SV eingetreten.

Ein deutliches besseres Klima

Am Anfang gab es schon Diskussionen, ob der Todtglüsinger Sportverein diese gesellschaftliche Verantwortung übernehmen sollte. Für den Vorstand war es aber von Anfang an mehrheitlich klar, dass jeder eine zweite Chance verdient: „Wenn einer aus dem Verein zweifelt, ob das eine gute Sache ist, dann sage ich immer – ‚Mensch, das könnte dein Enkel oder der Sohn deines Nachbarn sein’. Wir leben hier im Ort so eng zusammen, deshalb sollten wir dazu beitragen, sie zu erziehen und sie vom falschen Weg zurückzuholen.“

Der Erfolg gibt ihm Recht. Polizei und Behörden bestätigen, dass Aggressivität und Jugendgewalt in der Gegend durch das Angebot des Vereins deutlich zurückgegangen sind.

Als Anerkennung für diese ehrenamtliche Arbeit, von der alle profitieren, gab es in Niedersachsen den „Großen Stern des Sports“ in Silber 2013 für den Todtglüsinger SV, verbunden mit 2.500 Euro Preisgeld. Die Bewerbung unter der Überschrift „Wer kümmert sich um die Ausrutscher?“ ging an die Volksbank Lüneburger Heide eG.

Am 13. Januar wird der Verein im Bundesfinale der „Sterne des Sports“ in Gold für Niedersachsen dabei sein, und das nicht zum ersten Mal. Schon in der Wettbewerbsrunde 2007 schaffte der Verein den Sprung ins Bundesfinale – damals kam der Todtglüsinger SV in der Endrunde der „Sterne des Sports“ auf den dritten Platz.

(Quelle: wirkhaus)






  • Der Todtglüsinger SV von 1930 e.V. übernimmt Verantwortung für straffällig gewordene Jugendliche im Freizeitarrest und bei der Ableistung von Sozialstunden. Eike Holtzhauer (dritter v.l.), der zweite Vorsitzende, kümmert sich persönlich um sie. (Foto: Todtglüsinger SV)
    Der Todtglüsinger SV von 1930 e.V. übernimmt Verantwortung für straffällig gewordene Jugendliche im Freizeitarrest und bei der Ableistung von Sozialstunden. Eike Holtzhauer (dritter v.l.), der zweite Vorsitzende, kümmert sich persönlich um sie. (Foto: Todtglüsinger SV)
  • Eike Holtzhauer (vorne rechts) geht als gutes Beispiel voran, erklärt den Jugendlichen warum ehrenamtliche Arbeit sich lohnt und versucht, sie für den Sport zu begeistern. (Foto: Todtglüsinger SV)
    800 X2 Ausrutscher Todtglue